Weshalb Anglizismen zu uns gehören

    KOLUMNE:


    Jugend von heute

    Ich sitze in einem Baumwollkurzarmhemd und einer robusten, blauen Baumwollhose zu Hause. Dort schaue ich auf meinem flachen, tragbaren Rechner nach, ob ich bereits elektronische Briefe erhalten habe. Nebenbei schlürfe ich ein Alkoholsüssgemisch. Nachher muss ich früh zu Bett gehen, da ich einen Zeitzonenkater habe. Wie Corinne Remund in einer ihrer letzten Kolumnen bereits gesagt hat: Es ist zu spät. Für die oberen Begriffe greift wohl niemand mehr auf die deutschen Alternativen zurück. Sie sind zu lang, zu unverständlich, zu mühsam. Immer mehr dominiert die englische Sprache unseren Alltag und das Deutsch. Seit Beginn der Kolonialisierung hat sich das Englisch nach und nach in jeden Teil unseres Erdballes eingenistet und ist jetzt nicht mehr wegzudenken. Englisch verbindet über die geografische und kulturelle Grenze hinweg. Auf den sozialen Medien sind die meisten Memes (Witze, die durch Bilder erzählt werden) hauptsächlich auf Englisch, damit sie von einem internationalen Publikum verstanden werden können. Neue Erfindungen tragen immer öfter englische Namen. Englisch vereinfacht unser Zusammenleben und erweitert das Deutsch, da wir uns über Dinge unterhalten können, die vorher nicht von der deutschen Sprache erfasst wurden. Die Sprachlinguistik befasst sich intensiv mit diesem «Muster». So gilt: Was wir nicht benennen können, können wir kaum denken und mitteilen. Es ist viel einfacher über den Zeigefinger zu reden wie über seinen zweiten Zeh von links, da wir für den Zeigefinger einen echten, fassbaren Begriff haben. Englisch schränkt unseren deutschen Sprachgebrauch nicht ein oder drängt ihn zurück, sondern sie erweitert ihn und übergeht die sprachliche Barriere.

    Klar, im Umgang mit der deutschen Sprache fühle ich mich am wohlsten, da diese die Sprache meiner Kindheit und meines alltäglichen Lebens ist. Sie gibt mir Sicherheit und Geborgenheit, lässt mich stark und intelligent wirken und dient als einfaches Werkzeug, meine inneren Gedanken sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Mein Sprachgebrauch geht aber über dies weit hinaus. Mit Sprache verbinde ich Emotionen, Momente und Erlebnisse. Falls ich meinem Satz einen eleganten Nachdruck verleihen möchte, benutze ich französische Wörter wie chic, Portemonnaie oder voilà. Falls ich meiner Lebensfreude freien Lauf bieten möchte, sage ich voller Inbrunst «¡Vamos!». Erinnerungen mache ich auf der ganzen Welt. Wir reisen in ferne Länder und erfreuen uns an ihren Kulturen. Deshalb verbindet man auch mit spanischen Wörtern die spanische Sonne und mit der französischen Sprache die Eleganz der Franzosen/ der Französinnen. Aber auch Germanismen haben ihren Platz in der Sprachkultur gefunden. So gibt es für Wanderlust, Schadenfreude, Weltschmerz und Kindergarten keine akkurate englische Übersetzung. Fremdsprachige Wörter bieten uns ein Stückchen ihrer Kultur, ein Ausgleich zu unserem Alltag, ein linguistischer Ferienaufenthalt. Auf schöne Wörter gibt es kein Urheberrecht, da sie verbinden und Freude in jedem/in jeder auslösen. Im Laufe der Zeit verändert sich der Schwerpunkt der Sprache. Früher nutzte man in der Schweiz mehr französische Synonyme und heutzutage sind es englische. Alles verändert sich ständig. Wandel gehört zum Lauf des Lebens dazu. Nicht alles Neue ist automatisch schlecht oder gut. In der Sprache gibt es kein Schwarz oder Weiss. So entscheidet jeder, wie er sprechen möchte und an welche Muster er sich hält. Man sollte sich aber stets bewusst sein, dass sich Sprache immer weiterentwickeln muss, um der Gesellschaft dienen zu können.

    Herzlichst
    Lilly Rüdel

    Vorheriger ArtikelDie erste Etappe zum Traumjob
    Nächster ArtikelDen staatlichen Wildwuchs stoppen